Warum Super- oder Ultramarathon?
Es ist nur wenigen Läufern vergönnt, jemals einen Marathon unter drei
Stunden zu laufen. Dazu gehört neben Trainingsfleiß auch gewisses
Talent. Ein Triathlon, insbesondere ein Ironman-Triathlon, wäre zwar
eine tolle Herausforderung, aber die meisten Läufer meiden das Wasser
(fast) wie der Teufel das Weihwasser. Mit dem Schwimmen ist das also
so eine Sache und das Rad fahren ist auch so zeitaufwendig. Den
Marathon das nächste Mal einfach schneller laufen? Wesentlich besser
zu trainieren als schneller zu laufen ist es: länger zu laufen. Deshalb
kann die nächste realistische Herausforderung auch ein Ultra-Marathon
sein.
Was ist ein Ultra-Marathon, bzw. ein Ultralangstreckenlauf?
Definitionsgemäß ist das jede Strecke jenseits der magischen 42,195
Marathonkilometer. Das können Läufe über bestimmte "runde"
Distanzen sein wie 50KM, 100KM oder mehr. Im anglikanischen Raum
haben sich die Wettkämpfe über 50 Meilen (eine Art Doppel-Marathon)
und 100 Meilen (= ca. 161KM) etabliert. Die Läufe können auf der
Straße, im Gelände oder auch auf der Laufbahn (100KM = 250 Runden
auf der 400m Bahn!) stattfinden. Es gibt Klassiker wie die 100KM von
Biel, den Swiss Alpine Marathon (ca. 67km plus viele Höhenmeter), den
Comrades-Marathon in Südafrika bis hin zum 1.300 Meilen-Lauf (über
2.000KM) in New York auf einer 1-Meilen Runde (!). Ultraläufe werden
häufig auch über eine bestimmte zeitliche Dauer durchgeführt, d.h. wer
in der vorgegebenen Zeit die meisten Kilometer zurücklegt, hat
gewonnen.
Sind Ultralangstreckenläufer alles Spinner oder Masochisten?
Ist ein Lauf über 100KM auch beim zweiten Gedanken daran so
unvorstellbar?
Wenn Laufen an sich Spaß macht, dann ist die logische Konsequenz:
möglichst lange zu laufen um möglichst ausgiebig die Schönheit des
Laufens genießen zu können. "Ultras" sind deshalb keine Masochisten,
sondern Genuss-Menschen. Niemand bleibt lange Zeit beim
Langstreckenlauf, wenn das Laufen nur zu einem bestimmten Zweck -
zum Erreichen bestimmter Leistungen - betrieben wird. Ein Werk kann
nur dann gut werden, wenn man Freude an der Gestaltung hat.
Ein Blick in die Gesichter von Ultralangstreckenläufern lässt kaum
Aggressivität und Verbissenheit erkennen. Auf den langen Strecken
dominiert Ruhe, Gelassenheit, Zufriedenheit, eine gewisse
Abgeklärtheit, aber doch höchste Konzentration. Ein 100KM Lauf ist
weniger Stress als ein Marathon. Kein Kampf um Sekunden, sondern ein
harmonisches Weiterbewegen und weiter und weiter und weiter .... Die
meditative oder gar spirituelle Komponente erhält einen hohen
Stellenwert. Eine Entrückheit und Distanz nicht nur gegenüber den
körperlichen Strapazen, sondern auch gegenüber den Problemen des
Alltags.
Gelassenheit ist auch eine Frage des Alters und der geistigen Reife. Bei
Ultra-Läufen dominieren deshalb nicht die 20 - 30-jährigen Läufer,
sondern die nächsten und übernächsten Dekaden. Die Leistungen sind
auf diesen Strecken am wenigsten an ein bestimmtes Alter geknüpft
und auch am wenigsten an ein bestimmtes Geschlecht. Auch wenn die
Frauen trotz geringer werdendem Abstand wohl nicht an die Leistungen
der Männer herankommen werden, die extremen
Langzeitausdauerbelastungen kommen der weiblichen Physis und
Psyche sehr entgegen. Nicht nur einmal ist es passiert, dass z.B. die US-
Amerikanerin Ann Trason bei gemischten Läufen weit vor dem ersten
Mann ins Ziel gekommen ist.
Haben Sie sich auch schon einmal bei einem Dauerlauf dabei ertappt,
dass Sie plötzlich nicht mehr wussten, wo Sie die letzte halbe Stunde
eigentlich gelaufen sind? Wo die Gedanken fremd gegangen sind, wo die
linke Gehirnhälfte das Kommando übernommen hat und Sie das Gefühl
hatten, scheinbar ewig so weiterlaufen zu können? Wenn ja, dann sind
Sie ein auch ein potenzieller Ultralangstreckenläufer. Jemand, für den
die Einsamkeit des Langstreckenläufers kein Schreckgespenst ist.
Übrigens: die Sache mit den Endorphinen mag zwar eine (deutlich
überbewertete) Rolle spielen, doch die Sucht nach der Ausschüttung
von "Glückshormonen" ist offensichtlich ein Erklärungsansatz von Nicht-
Läufern, die sich nicht vorstellen können, dass Laufen Spaß macht -
einfach so.
Trotz aller Entrücktheit ist für eine Teilnahme an einem
Ultralangstreckenlauf natürlich auch ein seriöses Training notwendig.
Entsprechende mentale Voraussetzungen können lediglich helfen, das
physische Potenzial möglichst auszuschöpfen. Also zurück in die
Niederungen der Trainingslehre und der Sportwissenschaften.
Über welche physischen Eigenschaften muss ein Läufer verfügen, der
extrem lange Distanzen erfolgreich zurücklegen möchte?
Zuerst einmal muss der Bewegungsapparat so lange Belastungen
verkraften können. Während vor 20 Jahren sogar viele Sportmediziner
noch von "Abnützungserscheinungen" von Gelenken durch das
Lauftraining sprachen, weiß man heute, dass degenerative
Erscheinungen an den Gelenken vor allem durch Bewegungsmangel
entstehen. Das Skelett ist keine tote Materie, die sich von Geburt an
abnützt. Auch Knochen und Gelenke können trainiert, d.h. in ihrer
Funktionalität verbessert, werden, auch wenn die
Anpassungserscheinungen wesentlich länger dauern als beim Herz-
Kreislaufsystem und der Muskulatur. Man muss also das ganz System
langsam und schrittweise an zunehmend längere Belastungen
gewöhnen. Schmerzen sind dabei immer das Zeichen einer
unphysiologischen Belastung und meist in einer zu sprunghaften
Belastungssteigerung begründet. Der Körper hält fast alles aus, man
muss ihn nur langsam daran gewöhnen. Das Herzinfarktrisiko ist bei
einem trainierten Teilnehmer an einem 100KM Lauf jedenfalls
wesentlich geringer als bei einem Untrainierten, der einmal 100m der
Straßenbahn nachsprintet.
Das Training selbst ist primär auf das Erreichen einer größtmöglichen
Laufökonomie hin ausgerichtet. Jeder Hobby-Jogger hat genügend
Schnelligkeit, um ein Weltklasse-Ultralangstreckenläufer zu sein. Die
Kunst ist es, eine niedrige bis mittlere Laufgeschwindigkeit über eine
extrem lange Zeitdauer durchzuhalten, das bedeutet, eine bestimmte
Geschwindigkeit mit geringerem Aufwand zu bewältigen, d.h. konkret:
-niedrige Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems (niedriger Puls)
-niedrige energetische Beanspruchung (geringer Energieverbrauch)
-niedrige Beanspruchung des passiven Bewegungsapparates (Sehnen,
Bänder, Gelenke) durch eine ökonomische Lauftechnik
Der sicherste Weg zum Erreichen einer guten Laufökonomie ist immer
noch das Absolvieren vieler Laufkilometer. Unter dem Motto: nach
10.000 Kilometern wird der Bewegungsablauf irgendwann rund werden.
Trotz der letztlich marketingorientierten Bemühungen von
verschiedenen Seiten, den Bewegungsablauf des Laufens als ziemlich
kompliziert hinzustellen, den man nur durch teure Seminare und
Bücher erlernen kann, die Praxis ist immer noch der beste Lehrmeister.
Da aber über eine lange Zeitdauer (z.B. 10 Stunden) immer nur ein
bestimmter Prozensatz der Geschwindigkeit an der anaeroben Schwelle
durchgehalten werden kann, besteht das Training der Ultras nicht nur
aus ruhigen, langen Dauerläufen. Auch wenn das Training der besten
100KM Läufer große individuelle Unterschiede aufweist, weitgehende
Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Ansicht, dass pro Woche
eine "schnelle" Einheit sinnvoll erscheint. Um die Leistung an der
anaeroben Schwelle zu verbessern, bzw. zu erhalten, sind Einheiten wie
5 x 2.000m oder auch 15 x 1.000m in der Nähe des (tatsächlich)
möglichen 10km-Wettkampftempos zu empfehlen. Kürzere
Tempostrecken wie 20 x 400m oder 50 x 200m erscheinen kaum
sinnvoll, da diese Einheiten zu unspezifisch sind. Ab und zu kann statt
einer schnellen Trainingseinheit natürlich auch eine Teilnahme an einem
Wettkampf über die üblichen Volkslaufdistanzen (6 - 21KM) am
Programm stehen.
Die wichtigste, weil am meisten spezifische, Einheit ist naturgemäß der
lange Dauerlauf, der im Bereich des (100KM-) Wettkampftempos oder
etwas langsamer (vielleicht 30 Sekunden pro Kilometer) absolviert wird.
Hinsichtlich der Länge gibt es sehr unterschiedliche Empfehlungen und
Erfahrungen. Günstig erscheint, alle 2 bis 3 Wochen während der
zielgerichteten Vorbereitung auf einen 100KM Lauf Einheiten von 30 -
50km, im Extremfall bis 70KM, zu absolvieren. Um eine größtmögliche
Spezifik zu erreichen, sollte dabei das Trinkverhalten und die
Ausrüstung für den Wettkampf getestet werden. Führen Sie Notizen
über die gemachten Erfahrungen unter Berücksichtigung von äußeren
Bedingungen, Vorbereitung, etc. um daraus zu lernen.
Wichtiger als die Wochenkilometerleistung (Spitzenläufer liegen hier
meist in einem Bereich von 110 - 250KM) ist die durchschnittliche Dauer
der einzelnen Einheiten. Besser als 5 - 6 Einheiten mit je 60 bis 120
Minuten sind 3 - 4 Einheiten, die dafür 90 - 180 Minuten und darüber
dauern. Das Training sollte insgesamt nicht zu gleichförmig werden,
nicht einfach Kilometer sammeln. Wie nach dem Pendelprinzip sollte
spezifische Belastungen mit ausgeprägten Regenerationsphasen
wechseln. 80 bis 90% des Trainingsumfanges sollten in Form von
ruhigen, langen Dauerläufen absolviert werden (Bereiche A1 und A2 =
65/70% bis ca. 85% der max. Herzfrequenz).
Da die Belastung des Binde- und Stützgewebes oft die limitierende
Größe darstellt, ist der Stellenwert des alternativen Ausdauertrainings
höher als beim Marathonläufer. Ausgedehnte Wanderungen, lange
Radtouren (6 - 10 Stunden) stellen nicht nur eine etwas andere
muskuläre Belastung dar, sondern helfen den wichtigen
Fettstoffwechsel anzukurbeln. Funktionsgymnastik und ein allgemeines
Kraftausdauertraining sollten vor allem zur Verbesserung der
Rumpfstabilität eingesetzt werden und damit Rückenbeschwerden und
andere Folgen von Fehlbelastungen vermeiden helfen. Das Laufen über
extrem lange Strecken bedeutet nun einmal eine sehr einseitige
Belastung für die Muskulatur, weshalb ein Ausgleich wichtig erscheint.
Die -zigtausendfache Wiederholung des gleichen Bewegungsablaufes
(Laufschrittes) mit einer relativ kleinen Bewegungsamplitude führt
zwangsläufig zu Muskelverkürzungen, weshalb Stretching zumindest
zum Erhalt des normalen Bewegungsumfanges und zur Unterstützung
der Regeneration bedeutsam ist.
Während der langen Trainingsläufe und natürlich insbesonders beim
Wettkampf kommt der Flüssigkeitszufuhr entscheidende Bedeutung zu.
Die meisten Läufer verzichten auf feste Nahrung, weil dadurch Magen-
Darmprobleme gehäuft auftreten. Bei Läufen bis 24 Stunden ist die
Abdeckung des Energie- und Flüssigkeitsbedarfes über Sportgetränke
und Gels sicherlich ausreichend. Für die Getränke gelten die üblichen
Empfehlungen, d.h. 5 - 8% Kohlenhydratlösungen (v.a. komplexe
Kohlenhydrate, kaum Zucker oder Fruktose), etwas Natrium und andere
Mineralstoffe, wobei die Lösung leicht hypoton oder isotonisch sein
sollte. Ab und zu Wasser ist durchaus in Ordnung, aber Wasser alleine
kann bei sehr langen Wettkämpfen sogar gefährlich werden. Da die
Kohlenhydratspeicher bei einer Wettkampfdauer von 10 Stunden oder
mehr (ähnlich wie bei einem Ironman-Triathlon) nur für einen Bruchteil
der Distanz reichen, ist neben der Kohlenhydratzufuhr über Getränke
während des Wettkampfes die leichte Verwertbarkeit der Fettspeicher
entscheidend. In der einschlägigen Literatur heißt es zwar immer
wieder, dass jeder Läufer genügend Fett gespeichert hat, bei extrem
niedrigem Körperfettanteil gibt der Körper das wenige Fett
offensichtlich nur widerwillig her, weshalb es hier zu Engpässen
kommen kann. Die Energiebereitstellung über das körpereigene Eiweiß
(= Muskulatur) spielt dann eine zu große Rolle und der Sport wird zum
tatsächlichen Raubbau am Körper. Das ist der Grund dafür, warum die
Ultralangstreckenläufer und Ironman-Triathleten üblicherweise nicht so
dürr wie manche der besten Marathonläufer sind, sondern einen etwas
höheren Fettanteil haben. Thomas Hellriegel, deutscher Sieger des
Hawaii Ironman, hat erzählt, dass es ihm nach einem langen Tief dann
wieder gut ging, als er Schokolade und Kuchen wieder in seinen
Speiseplan aufnahm.
Bei Läufen über mehr als 24 Stunden, die allerdings recht selten sind,
kommt noch das Problem des Schlafentzugs hinzu. Diese zusätzliche
Dimension lässt sich schwer trainieren und es gibt viele Mediziner, die
hier zumindest die Möglichkeit von negativen gesundheitlichen
Langzeitfolgen sehen. Studien gibt's naturgemäß keine, aber auch ein
Race across America macht schließlich niemand als
Gesundheitsförderungsaktion, sondern als ultimative Herausforderung,
als Ausloten der persönlichen Möglichkeiten.
Aber bis dorthin gibt es ohnehin noch eine große Bandbreite, die
jenseits des Marathons liegt und darauf wartet, ausgelotet zu werden.
Danke das Sie die Seite www.laufpirat.de besucht haben