Doping kann tödlich sein - Gefahr einer Thrombose,
Nierenschädigung oder eines Infarkt
Im Radsport, aber auch in anderen Ausdauer Sportarten fliegen immer
wieder Fälle von Doping mit Eigenblut auf. Auch Tour-Favorit Alexander
Winokurow wurde vor kurzem nachgewiesen, während der laufenden
Tour de France mit Fremdblut gedopt zu haben.
Blutdoping erlebt eine Wiedergeburt, weil (legales) Höhentraining
aufwändig ist, dessen Wirkung rasch verpufft und sich das verbotene
Nierenmedikament Erythropoetin (EPO) mittlerweile nachweisen lässt.
Beide Methoden zielen darauf, die Zahl der roten Blutkörperchen
(Erythrozyten) zu vermehren; diese transportieren Sauerstoff zu den
Muskeln – je mehr, umso größer die Leistungsfähigkeit.
Deren Steigerung wird auf fünf bis 15 Prozent geschätzt. Beim
Eigenblut-Doping bekommt der Sportler Wochen vor dem Wettkampf
bis zu einem Liter Blut entnommen. Sein Körper bildet dann rote
Blutkörperchen nach. Der Aderlass kann auch beim Höhentraining
erfolgen, wenn mehr rote Blutkörperchen entstanden sind.
Kurz vor dem Wettkampf wird das konservierte Blut injiziert, die
Konzentration der roten Blutkörperchen steigt. Dieses Vergehen lässt
sich so gut wie überhaupt nicht nachweisen.
Über Risiken und Nebenwirkungen wissen Arzt und Welt-Antidoping-
Agentur Bedrohliches zu erzählen: Mit zunehmender
Aufbewahrungszeit können sich im Blut kleinste Gerinnsel bilden und zu
Thrombosen oder tödlichem Infarkt führen.
Bei einer Fremdbluttransfusion können die Folgen können von
allergischen Reaktionen bis hin zu Nierenschädigungen reichen.
Doping - Superheld für acht Tage
Von Tobias Hürter
Mit Epo spritzen Spitzensportler sich übernatürliche Kräfte. Aber die
Wirkungsweise ist noch ein großes Rätsel. Wie fühlt sich das Hormon im
Körper an? Ein Selbstversuch von Tobias Hürter.
Zürich, Mittwoch, 20. Juni 2007
Was mache ich hier? Gute Frage für einen 35-jährigen, ledigen und
gesunden Mann – in einer Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe. Ich
sitze im Wartezimmer des Frauenarztes Christian Breymann in Zürich. Er
will mir ein Medikament verabreichen, das er sonst gebärenden Müttern
nach starken Blutverlusten gibt: das Hormon Erythropoetin, kurz Epo.
Furore machte Epo fernab seines zugedachten therapeutischen Zwecks:
als eines der wirkungsvollsten Dopingmittel in der Geschichte des
Sports. Im Radsport begann eine neue Zeitrechnung, als Ende der
achtziger Jahre rekombinantes, also mittels genetisch veränderter
Bakterien hergestelltes Epo verfügbar wurde. Neue Fahrer tauchten wie
aus dem Nichts auf, zogen den alten Granden davon. Ein Jahrzehnt lang,
bis zum Festina-Skandal bei der Tour de France 1998, spritzten sich viele
Radprofis so viel Epo, wie sie kriegen konnten, nahezu ohne Strafrisiko.
Inzwischen sind die Kontrollen deutlich schärfer, die Dosierungen
deutlich vorsichtiger. Doch der Spuk ist keineswegs vorbei. Die jüngste
Serie von Epo-Geständnissen deutscher Radprofis und Betreuer, zuletzt
die Beichte von Jörg Jaksche im Spiegel, lässt das Ausmaß des
Dopingsystems ahnen. Bewegt haben die Bekenntnisse wenig. Es wäre
ein Wunder, wenn die Tour de France am nächsten Samstag nicht Epo-
beschleunigt starten würde.
Breymann interessiert sich nicht sonderlich für Sport, aber sehr für die
Wirkungen von Epo. Seit Anfang der neunziger Jahre erforscht er die
physiologischen Effekte des Hormons. Derzeit führt der Epo-Experte
gemeinsam mit dem Sportphysiologen Urs Boutellier von der
Universität Zürich eine Studie an 40 Hobbysportlern durch, die den
leistungssteigernden Effekt von Epo klären soll.
Wir alle sind von Natur aus Epo-getrieben. Jede gesunde Niere
produziert das Hormon und schüttet mehr davon aus, wenn der Körper
starken Sauerstoffmangel erfährt. Daher ist der traditionelle (und legale)
Weg für Sportler, ihren Epo-Spiegel zu steigern, das Training in großen
Höhen: »mindestens 2650 Meter über Meeresniveau«, sagt Boutellier,
»sonst wirkt es nicht«. Mit der Spritze geht es komfortabler. Erfahrene
Doper berichten, dass Epo schon schneller und ausdauernder macht
und die Erholungsfähigkeit verbessert, bevor es sich messbar auf die
Blutzusammensetzung auswirkt. Warum der Epo-Kick so schnell kommt,
können Mediziner noch nicht sagen.
Gewiss ist nur, dass die übliche Erklärung für den Dopingeffekt von Epo
zu einfach ist. Die zusätzlichen roten Blutkörperchen erhöhten die
Sauerstoff-Transportfähigkeit des Bluts, mithin wirke Epo sozusagen als
Blasebalg auf die muskulären Kraftwerke. »Diese Geschichte kann nicht
stimmen«, sagt Boutellier. Zumindest kann sie nicht mehr als die halbe
Wahrheit sein. Denn der beste Blasebalg hilft wenig, wenn nicht auch
die Brennstoffzufuhr und die Kapazität der Kraftwerke erhöht werden.
Aus Tierversuchen und der klinischen Praxis ist bekannt, dass Epo viel
mehr bewirkt, als die roten Blutkörperchen zu vermehren. Es steigert
den Blutdruck und den Tonus der Blutgefäße, fördert die Bildung
feinster Blutgefäße in Muskeln und Gehirn. Seine physiologische
Aufgabe ist es, die wertvollsten Gewebe des Körpers vor
Sauerstoffmangel zu schützen. Darunter auch die
Fortpflanzungsorgane: Zellen in Hoden und Gebärmutter tragen Epo-
Rezeptoren.
Die Sportwelt diskutiert über ein Hormon, dessen Wirkmechanismen
noch ein Rätsel sind – und über dessen subjektive Wirkung jene, die sie
kennen, schweigen. Über Erfahrungen mit Heroin, Cannabis und
anderen Drogen findet man ganze Bücher. Aber weltweit
Hunderttausende Epo-User bleiben wortkarg.
Wie wandelt sich das Körperempfinden, wenn der Epo-Spiegel steigt?
Ich will es in einer einwöchigen Epo-Kur herausfinden. Zwar bin ich kein
Spitzensportler mit geschultem Gespür für seine körperlichen
Leistungsgrenzen, sondern nur ein halbwegs gut trainierter
Hobbyradler. Aber Boutellier kündigt mir an: »Auch Sie werden es
deutlich merken, und sehr schnell.«
Es gibt zwei Möglichkeiten, Epo zu spritzen: entweder subkutan mit
einer kurzen Nadel ins Unterhautgewebe, das ist der bequeme Weg für
Do-it-yourself-Doper. Oder direkt in die Blutbahn, dann kommt die
Wirkung schneller, die Bioverfügbarkeit ist höher. Deshalb wählt
Breymann diesen Weg. Er legt mir eine Infusionskanüle in eine Vene der
linken Armbeuge. Ehe ich mich versehe, zirkulieren 10000 internationale
Einheiten Epo in meiner Blutbahn – ungefähr das 300-Fache des
Normalwerts. Es folgt ein spannender Moment, denn manche Patienten
und Versuchspersonen reagieren allergisch auf Epo-Gaben. Auch von
Radprofis ist bekannt, dass sie das Hormon schlecht vertragen haben,
von Erik Zabel zum Beispiel.
Breymann schickt eine Dosis Eisenlösung hinterher. Nun wird das Epo
ins Knochenmark wandern und dort die Bildung neuer roter
Blutkörperchen ankurbeln. Dieser Prozess verbraucht viel Eisen, deshalb
die Zusatzmedikation. Anfang der 2000er Jahre arbeitete Breymann an
der Entwicklung eines Nachweisverfahrens für Epo-Doping mit, das
weitaus sensibler ist als die lange übliche Messung des
Hämatokritwertes, also der Konzentration der roten Blutkörperchen.
Weil der Körper zur Bildung der Blutzellen Eisen braucht, zeigt die
künstliche Epo-Zufuhr sich in zurückgehenden Eisenreserven und
sogenannten hypochromen (eisenarmen) Blutkörperchen mit
charakteristischer Form. Das Internationale Olympische Komitee und
der Sportgerichtshof CAS haben das Breymannsche Verfahren alsbald
übernommen. Der Weltradsportverband hingegen sträubte sich und
blieb weiter bei der viel weniger verlässlichen Hämatokritmessung.
»Hämatokrit kann man vergessen«, urteilt Breymann. Schon ein
Kopfstand kann den Wert verfälschen, weil er die Körperflüssigkeiten
durcheinandermischt.
Dabei könnte alles so einfach sein. Die Hersteller könnten ihr Epo mit
chemischen Markern versehen, die den Nachweis von Missbrauch zum
Kinderspiel machen würden. Dass das noch nicht geschehen ist, kann
durchaus mit wirtschaftlichen Interessen zu tun haben. Epo ist eines der
weltweit umsatzstärksten Medikamente. Im Radsportland Nummer eins
Italien würde die verkaufte Menge für die Versorgung von 40000
Patienten reichen, haben Experten vor ein paar Jahren geschätzt.
Tatsächlich leben dort nur 3.000 Therapiebedürftige.
Auf dem Rückweg zum Flughafen im Taxi steigt eine leichte Euphorie in
mir auf, ein belebtes Gefühl, welches ich an solch hektischen Reisetagen
nicht an mir kenne. Hatte Breymann nicht erwähnt, dass auch im Gehirn
Rezeptoren für Epo-Moleküle sitzen?
Breymann hat mir eine weitere Spritze mit 10.000 Einheiten Epo
mitgegeben. Der empfindliche Wirkstoff muss unbedingt gekühlt
bleiben, erst recht an diesem heißen Tag, deshalb besorge ich mir in
einer Confiserie am Flughafen eine Thermotüte, in einem
Schnellrestaurant einen Beutel Eiswürfel. Das improvisierte Kühlpaket
passiert glatt die Sicherheitskontrolle. Im Flugzeug verstaut die
Stewardess das Medikament gern im Bordkühlschrank und gibt mir für
die letzte Etappe nach Hause ein Stück Trockeneis mit. Die mobilen
Apotheken der Tour-de-France-Teams sind professioneller ausgestattet.
Insider erzählen von Scheintouristen in Wohnmobilen mit extragroßen
Kühlschränken. Jörg Jaksche beschrieb einen Staubsauger mit
getarntem Kühlfach.
Nussdorf, Donnerstag, 21. Juni 2007
Das leicht beschwingte Gefühl ist über Nacht geblieben. Sollte es
wirklich aus der Nadel kommen? Auch Probanden der Zürcher Studie
erzählen von einem belebenden Schub durch Epo. »Manche erschienen
geradezu euphorisiert zu den Tests«, sagt Simon Annaheim, Doktorand
bei Urs Boutellier und maßgeblicher Betreuer der Studie. Andere Epo-
Tester hingegen spürten nichts oder berichteten über ein »grippiges«
Gefühl, wieder andere fühlten sich auffällig müde – »teigig«, sagt einer
von sich.
Wenn Epo die Schutzmechanismen des Körpers gegen
Sauerstoffmangel aktiviert, dann ist es kein Wunder, dass es auch auf
die nährstoffhungrige Hirnmasse wirkt. Die Wirkung kommt mir nicht
stärker vor als die einer Tasse Kaffee mit einem Schuss Cognac, aber
angenehm genug, um auf Dauer abhängig zu machen. Jaksche spricht
von der Doperei als »Fixertum«, und es ist kein Zufall, dass Radprofis die
langjährigen Doper unter ihnen als »Epo-Junkies« bezeichnen. Nicht
wenige von ihnen entwickeln eine klassische Suchtstruktur, die auch
dann fortbesteht, wenn die Dopingmittel abgesetzt werden. Der
italienische Radheld Marco Pantani starb vor drei Jahren an einer
Überdosis Kokain – Suchtwechsel nennen Mediziner so etwas.
Mein Versuchsprogramm unter Epo läuft vorsichtig an, mit einer kurzen
Bergtour in den bayerischen Voralpen. Meine ungedopten
Bergkameraden können mühelos Schritt halten und sind auch nicht
schlechter gelaunt als ich.
München, Freitag, 22. Juni 2007
Nach dem Lehrbuchwissen über Epo sollte es heute noch zu früh sein
für leistungssteigernde Effekte. Mein Blutbild sollte noch keine
Veränderungen zeigen – allenfalls Spuren der Zechtour am Abend zuvor.
Ich setze mich aufs Mountainbike und erlebe eine Überraschung. Die
Beine signalisieren Unternehmungslust. Ich nehme die steilsten
Anstiege des Isar-Hochufers in Angriff, wühle mich durch tiefen Schotter
und holpere über glitschige Wurzeln. Auch ein heftiger Gewitterschauer
vermag mich nicht zu stoppen. Abends injiziert mein Vater (er ist Arzt)
mir die aus Zürich mitgebrachten 10000 Einheiten Epo und das Eisen
dazu. Doping am Wohnzimmertisch – einfach wie eine Grippeimpfung.
Und es wird zusehends einfacher und effizienter. Der amerikanische
Konzern Amgen hat inzwischen Varianten aus fusionierten Epo-
Molekülen entwickelt, die stärker und länger wirken. Der letzte Schrei
unter Sportbetrügern ist genetisches Doping; die künstliche Zufuhr von
Epo-Genen, aus denen sich dann im Körper der eigentliche Wirkstoff
bildet – und in Dopingtests nur mit großem Aufwand nachweisbar ist.
Der Traum jedes Dopers wäre Epo zum Schlucken. Bald könnte er
Wirklichkeit werden. Mehrere Konzerne arbeiten an Pillen, die das
Hormon durch den Verdauungstrakt in den Stoffwechsel schleusen.
München, Samstag, 23. Juni 2007
Diesmal spüre ich nichts von einem Euphorieschub wie nach der ersten
Injektion. Dennoch steigere ich die Belastung. Auf dem Straßenrennrad
an einem Anstieg überholt mich eine Gruppe von Lizenzfahrern eines
Münchner Vereins, die dort gerade ein inoffizielles
Ausscheidungsrennen fährt. Ich trete an und kann mit den beiden
Führenden mitgehen. Hätte ich das auch clean geschafft? Schwerlich.
Zum Ende der Ausfahrt liefere ich mir noch mit brennenden Beinen ein
Sprintduell mit einem Freund, der mich in dieser Disziplin gewöhnlich
schlägt. Diesmal gewinne ich. Das Brennen kommt von der Milchsäure,
die die Muskeln bei intensiven Belastungen produzieren. Epo stimuliert
die Produktion von Hämoglobin, das diese Säure abpuffert. »Du hast
nicht weniger Schmerzen«, beschrieb Jörg Jaksche das Fahrgefühl unter
Doping, »aber die Schmerzgrenze liegt höher.«
Rosenheim, Sonntag, 26. Juni 2007
Ruhepause auf dem Fahrrad: Ich rolle gemächlich über die 107
Kilometer der Kurzstrecke eines kleinen Radmarathons – im
Touristentempo von 27 Kilometern pro Stunde. So kann ich die
sonnenbestrahlte Chiemgauer Landschaft genießen, und das
Klassement der Breitensportveranstaltung wird nicht durch Doping
verzerrt.
Zürich, Montag, 25. Juni 2007
Christian Breymann verabreicht mir die dritte und letzte Dosis Epo.
»Machen Sie hier Doping?«, fragt eine Patientin, die mitbekommen hat,
dass wir mit Epo hantieren. »Wir machen einen Versuch«, antwortet
Breymann.
Anschließend mache ich einen Leistungstest im Universitätslabor. Nur
mit einer Radhose und Schuhen bekleidet, sitze ich auf einem Standrad.
Simon Annaheim verkabelt mich. Pulsgurt um die Brust,
Blutdruckmanschette um den Arm, Infrarotsensor an den Zeigefinger –
und leider auch einen Schnorchel zur Atemluftanalyse in den Mund.
Während der nächsten halben Stunde steigt der Tretwiderstand des
Standrads stufenweise, bis ich nicht mehr treten kann. Währenddessen
entnimmt Annaheim immer wieder Blutproben aus meinem
Ohrläppchen, um später darin das Laktat, ein Zerfallsprodukt der
Milchsäure, zu messen. Bei 400 Watt Tretleistung muss ich abbrechen –
ungefähr dem Energiebedarf eines Mixers.
Genau den gleichen Test hatte ich fünf Tage vorher, unmittelbar vor der
ersten Epo-Spritze gemacht. Die Eckdaten – maximale Dauerleistung
und Abbruchleistung – haben sich in dieser Zeit kaum verändert, dazu
ist es noch zu früh, denn die Bluteffekte von Epo entfalten sich erst
allmählich. Dennoch schlägt die Hormonkur sich schon jetzt in den
Messwerten nieder. Puls und Laktat steigen langsamer mit der
Belastung. Zudem ist der sogenannte respiratorische Quotient
gesunken, das Verhältnis zwischen ausgeatmetem Kohlendioxid und
verbrauchtem Sauerstoff. Irgendwie hat der Epo-Schub bewirkt, dass
meine Muskeln besser Fett verbrennen und so ihre Kohlenhydratvorräte
schonen können.
Ich wüsste es gern genauer, aber die Experten ziehen ratlose Gesichter.
»Ich vermute, dass die wahre Erklärung für die Leistungssteigerung
durch Epo in den Muskeln liegt«, sagt Urs Boutellier, »aber ich habe
keine Ahnung, wie sie lautet.« Die Steigerung des Hämatokritwerts ist
demnach aus Dopersicht eher nebensächlich – womöglich sogar
schädlich. Tatsächlich sinkt der Hämatokritwert bei Ausdauerathleten
mit zunehmender Form, weil der Körper nicht nur neue Blutkörperchen
bildet, sondern auch das Plasmavolumen erhöht. So hält er das Blut
leicht flüssig.
Hingegen droht bei zu hoher Dichte an roten Blutkörperchen das
sogenannte Sludge-Phänomen. In kleinen Adern verklumpt das Blut und
kann die dahintergelegenen Gewebe nicht mehr versorgen. Besonders
groß ist die Gefahr von Gerinnseln nachts, wenn das Herz das verdickte
Blut langsamer durch die Gefäße pumpt. Während der Epo-Hochphase
in den neunziger Jahren versagte den Radprofis reihenweise das Herz
im Schlaf. Willy Voet, ein ehemaliger Pfleger des Skandal-Teams Festina,
beschrieb vor einigen Jahren, wie Rennfahrer während der Epo-
Hochphase mit Pulsmessgeräten schliefen, die bei zu niedriger
Herzfrequenz Alarm schlugen.
Sollte der Schlüssel zur Wunderwirkung von Epo wirklich in den Muskeln
liegen, dann ist er gut versteckt. Die Erkenntnisse darüber, was Epo in
unseren vortriebswirksamen Geweben anstellt, sind nicht nur
lückenhaft, sondern auch widersprüchlich. Einerseits haben Radsportler
während ihrer monatelangen Epo-Kuren die Erfahrung gemacht, dass
das Mittel die Muskeln schwinden lässt – womöglich als eine
Sparmaßnahme gegen Sauerstoffverschwendung –, und nehmen es
inzwischen in Kombination mit Wachstumshormonen. Andererseits
wollen Forscher einen anabolen – also muskelaufbauenden – Effekt an
Menschen und Tieren beobachtet haben.
Abends mache ich eine halbe Stunde Krafttraining. Meine Muskeln
fühlen sich williger an als sonst. Pro Maschine schaffe ich ein bis zwei
Wiederholungen mehr, und trotz eines erweiterten Übungsprogramms
ermüde ich langsamer. Überhaupt fällt mir auf, dass meine gefühlte
Ermüdungskurve unter Epo flacher abfällt. Annaheim und Boutellier
beobachteten bei den Probanden ihrer Studie einen dramatischen
Anstieg der Ausdauerleistung. Manche von ihnen, die bei intensiver
Belastung auf dem Standrad schon nach einer Viertelstunde
schlappmachten, wollten unter Epo gar nicht mehr absteigen.
München, Dienstag, 26. Juni 2007
Zur Abwechslung mal Laufen: 17 Kilometer mit einem Freund durch den
Forstenrieder Park im Münchner Süden. Für mich fühlt es sich nicht
flotter an als sonst, für meinen Freund, der nichts von meinem
Selbstversuch weiß, offenbar schon. »Bist du gedopt?«, fragt er mich.
Verlegen murmele ich etwas von »B-Probe abwarten«.
München, Mittwoch, 27. Juni 2007
Sportlicher Ruhetag, irgendwann muss auch dieser Artikel geschrieben
werden. Forscher des Max-Planck-Instituts für Experimentelle Medizin
und des DFG-Forschungszentrums Molekularphysiologie des Gehirns
fanden im vergangenen Jahr heraus, dass Epo die kognitive Leistung von
Schizophreniepatienten verbessert – vermutlich weil es die Nervenzellen
vor der Degeneration schützt und das Wachstum neuer Neuronen und
Synapsen anregt. Obwohl sich solche Befunde, und ähnliche bei
Schlaganfallpatienten, nicht ohne Weiteres auf Gesunde übertragen
lassen, ist Epo inzwischen in den Ruf eines Hirndopingmittels geraten
und zu einem Modemittel der Anti-Aging-Szene avanciert. Ich merke
nichts davon, dass mir das Schreiben leichter von der Hand ginge als
sonst.
Schäftlarn, Donnerstag, 28. Juni 2007
Nun müsste die Kur voll anschlagen. Die ersten zusätzlichen roten
Blutkörperchen müssten herangereift und aus dem Knochenmark in die
Adern gespült sein. Epo regt diesen Prozess nicht nur an, sondern
beschleunigt ihn auch. Ich mache die Probe und messe meine Zeit an
einem Berg von zwei Kilometern und ungefähr 100 Höhenmetern, für
den ich in meiner vorherigen Form stets länger als viereinhalb Minuten
brauchte. Die Uhr bleibt bei vier Minuten, drei Sekunden stehen –
Bestzeit, und ich bin oben weitaus weniger außer Atem als nach meinen
Testfahrten vor Epo.
Letztes Jahr hatte ich so fleißig trainiert, dass ich an manchen Bergen
immerhin mit Profis der dritten Garnitur mithalten konnte. Dieses Jahr
bin ich faul – aber nicht langsamer. Drei Spritzen zu ein paar Hundert
Euro haben mir mehrere Tausend Trainingskilometer erspart. Ich
beginne zu verstehen, was Epo im Radsport bewirkt hat.
Und gleichzeitig beginne ich, mich auf den Rückgang meines Epo-Pegels
auf Normalniveau zu freuen. In vier Monaten wird die Wirkung
verflogen sein, so lange leben rote Blutkörperchen im Organismus. Ich
habe erfahren, wie pervers einfach Doping sein kann, und wie groß die
Verlockung in einem System sein muss, in dem es fast alle tun. Eine
Zeitlang lebt es sich ganz gut mit übernatürlichen Kräften. Lieber aber
bin ich wieder ganz ich selbst.
(C) http://www.zeit.de/2007/28/M-Epo
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